Die Lebensdauer von Schmelzsicherungen

 Temperaturprofil eines Schmelzleiters (Teilbereichssicherung ohne Lot) Quelle: Prof. Adrian Plesca, TU Iasi, Romania (Bild: Adrian Plesca, TU Iasi, Romania)

Temperaturprofil eines Schmelzleiters (Teilbereichssicherung ohne Lot) Quelle:
Prof. Adrian Plesca, TU Iasi, Romania (Bild: Adrian Plesca, TU Iasi, Romania)

Lebensdauer verkürzende Einflussfaktoren und betriebliche Belastungen

“ Externe Einflussfaktoren

  • • Umgebungstemperatur, Wärmeeintrag und Kühlbedingungen: Die Funktion von Sicherungen basiert auf dem Schmelzen von Metallen, sei es des Schmelzleiterbandes aus Kupfer oder Silber oder eines Reaktionsmittels auf Zinnbasis (Weichlot). Zur bestimmungsgemäßen Funktion, dem zuverlässigen Unterbrechen von Überströmen, müssen örtlich die hohen Schmelztemperaturen dieser Metalle erreicht werden. Andererseits sind hohe Temperaturen, wenn sie häufig und über lange Zeit auftreten, ein wesentlicher Treiber chemischer und physikalischer Materialveränderungen, die zu bleibenden Veränderungen der Sicherungseigenschaften (Alterung) führen. Neben der Umgebungstemperatur (Lufttemperatur außerhalb des Gehäuses) haben ggf. noch Sonneneinstrahlung und benachbarte Wärmequellen innerhalb des Gehäuses Einfluss auf die Temperatur der die Sicherung kühlenden Luft. Der Wärmeeintrag aus der Umgebung allein führt in der Regel jedoch nicht zu bleibenden Veränderungen der Sicherungen. Da die stromabhängige betriebliche Erwärmung sich auf die Umgebungstemperatur addiert, muss die Strombelastbarkeit der Sicherung bei erhöhter Umgebungstemperatur nach Angabe des Herstellers reduziert werden. Die zulässige Belastbarkeit hängt wesentlich von der Schmelztemperatur des Schmelzleitermetalls ab. Ausreichende Querschnitte der angeschlossenen Leiter, gute Belüftung und ggf. forcierte Kühlung halten die Erwärmung auch bei sehr hoher Belastung meistens auf einem für die Sicherungslebensdauer unschädlichen Niveau.
  • • Korrosive Atmosphäre und Verschmutzung: Der Rostschutz von NH-Sicherungen hat sich für den Einsatz unter Normbedingungen bei höchstens 90% relativer Feuchte und mäßiger Kondensatbildung durch Temperaturschwankungen als ausreichend erwiesen. Für den Einsatz in Kabelverteilerschränken werden NH-Sicherungsleisten für Verschmutzungsgrad 3 nach IEC 60664-1 ausgelegt und entsprechend schärfer nach ISO 6988 mit SFW 2,0 S geprüft. Extrem salzhaltige Luft in Meeresnähe oder besonders korrosive Atmosphäre in Tierhaltung und chemischen Betrieben erfordern ggf. spezielle Oberflächenbehandlungen der Metallteile und Maßnahmen gegen Betauung, um eine angemessene betriebliche Lebensdauer zu erzielen.
  • • Stoßbeanspruchung, Erschütterungen, Vibration: Das robuste äußere Erscheinungsbild täuscht leicht darüber hinweg, dass Sicherungen Präzisionsbauteile sind, die äußerst filigrane Schmelzleiterstrukturen enthalten. Heftige Erschütterungen, Stöße und Vibrationen können zum Bruch von Engstellen oder Abrasion von Schmelzleitermaterial und damit zu bleibenden Veränderungen führen, welche die Lebensdauer verkürzen. Sorgfältige Behandlung beim Transport kann Beeinträchtigungen vor der Inbetriebnahme weitgehend vermeiden. Für den Einsatz in Fahrzeugen und auf Arbeitsmaschinen mit betriebsbedingten Erschütterungen und Vibrationen gelten z. T. eigene Normen. Sofern keine anwendbaren Normen vorhanden sind, ist die Eignung der Sicherungen für solche Anwendungen mit dem Hersteller abzustimmen.

aR-Schmelzleiter (Bild: Dr.-Ing. Herbert Bessei)

“ Betriebliche Belastungsfaktoren

  • • Überströme: Sicherungen können Betriebsströme bis zu ihrem Bemessungsstrom Ir dauernd führen. Darüber hinausgehende Ströme, Fehlerströme und je nach Betriebsklasse auch Überlastströme ab dem großen Prüfstrom If, unterbrechen sie entsprechend ihren Zeit/Strom-Kennlinien. Diese Kennlinien stellen jedoch keine scharfen Grenzen zwischen Unversehrtheit und Stromunterbrechung dar. Erstens handelt es sich um Mittelwerte mit statistischen Abweichungen und zweitens können auch Strombelastungen, die nicht unmittelbar zur Abschaltung führen, bleibende Veränderungen hinterlassen, die sich auf die weitere Lebensdauer auswirken. Betriebsströme Ib zwischen dem Bemessungsstrom der Sicherung Ir und dem großen Prüfstrom If (If > Ib > Ir) erzeugen zwar sehr hohe Schmelzleitertemperaturen, werden aber nicht zuverlässig unterbrochen. Treten sie häufiger auf, muss mit bleibenden Veränderungen der Schmelzleiter im Bereich des Lotauftrags gerechnet werden. Nähert sich die Schmelzleitertemperatur dem Schmelzpunkt des Lotauftrags, verändert sich die Schmelzleiterstruktur durch Interdiffusion irreversibel. Es bilden sich intermetallische Phasen mit erhöhtem elektrischem Widerstand, welche kürzere Schmelzzeiten zur Folge haben und damit zu ungewollten Abschaltungen führen können. Dabei muss man berücksichtigen, dass das Lot an der wärmsten Stelle des Schmelzleiters positioniert ist, die eine wesentlich höhere Temperatur aufweist als äußerlich der Messung zugängliche Stellen (Bild 2). Bei genormten Erwärmungsprüfungen werden üblicherweise die Leiteranschlusstemperaturen gemessen, die je nach Bauform der Sicherungsunterteile mehr oder weniger repräsentativ für die Schmelzleitertemperatur sind. Der Anwendungsleitfaden VDE 0636-5 schlägt zur Beurteilung der Erwärmung von NH-Sicherungen in Gehäusen mit beschränkter Wärmeabfuhr die Messung der Sicherungsmessertemperatur vor, die 130°C nicht überschreiten soll und bei Dauerbetrieb möglichst deutlich darunter liegen sollte.
  • • Periodische Last: Periodische Last mit abwechselnden Erwärmungs- und Abkühlperioden, welche den Bemessungsstrom der Sicherung nicht überschreitet, hat keinen besonderen Einfluss auf die Sicherungslebensdauer. Entscheidend ist nur die Dauer hoher Schmelzleitertemperaturen.
  • • Anlaufströme und Einschaltspitzen: Beim direkten Einschalten von Motoren treten Anlaufströme in der Höhe des 5- bis 6-Fachen des Motorvolllaststroms für die Dauer von mehreren Sekunden auf. Bei nicht ausreichender Bemessung der zugeordneten Sicherungen kann es zu irreversiblen Anschmelzungen des Lots bei Ganzbereichssicherungen oder auch der Engstellen bei Teilbereichssicherungen kommen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit einer Lebensdauerverkürzung. Wiederholte Anschmelzungen und die Unterbrechung einzelner Stege führen zum vorzeitigen Abschalten. Im schlimmsten Falle kommt es zum Schaltversagen, wenn eine derart vorgeschädigte Teilbereichssicherung von Strömen unterhalb ihres Ausschaltbereichs unterbrochen wird. Beim Einschalten von Transformatoren und Kondensatoren auftretende kurzzeitige Stromspitzen (Inrushs) erreichen bei wesentlich kürzerer Dauer noch größere Vielfache des Bemessungsstroms. Ausschlaggebend für mögliche Vorschädigung der Sicherungen sind jedoch weniger die absoluten Stromspitzenwerte als das Joule-Integral I2t. Dieses sollte deutlich kleiner sein als das Schmelzintegral I2t der Sicherung.
  • • Impulsbelastung: Anhaltende periodische Belastung mit hohen Stromimpulsen kurzer Dauer kommt hauptsächlich bei Sicherungen für den Schutz von Halbleiterbauelementen (Betriebsklassen aR und gR) vor. Bei diesen superflinken Sicherungen sind die Schmelzleiter an den Engstellen auf etwa ein Zehntel des Bandquerschnitts reduziert und die Stromdichten entsprechend hoch (Bild 3). Selbst wenn der Effektivwert eines pulsierenden Laststroms keine übermäßige Erwärmung erwarten lässt, können einzelne Impulse infolge sehr hoher Stromdichte die Engstellen kurzzeitig bis in die Nähe des Schmelzpunkts erwärmen. Das Wechselspiel von lokaler Wärmedehnung und Kontraktion beim Abkühlen führt zu bleibenden Veränderungen der Metallstruktur. Dauernde Belastung dieser Intensität führt zur Lebensdauerverkürzung durch Ermüdungsbrüche. Die zulässigen Impulsbelastungen können den Überlastkennlinien der Hersteller entnommen oder durch gezielte Untersuchungen anwendungsspezifisch ermittelt werden.

Zusammenfassung

Sicherungen sind Überstrom-Schutzgeräte, die Fehlerströme und je nach Betriebsklasse auch Überlastströme ab dem großen Prüfstrom entsprechend ihren Zeit/Strom-Kennlinien zuverlässig unterbrechen können. Betriebsströme bis zu ihrem Bemessungsstrom können sie unter definierten Bedingungen dauernd führen. Häufige und länger anhaltende Überlastströme zwischen dem Sicherungsbemessungsstrom und dem großen Prüfstrom wirken sich schädlich auf die Lebensdauer aus und sind deshalb zu vermeiden. Auf keinen Fall sollten Sicherungen abweichend von ihrer Bestimmung zur Lastbegrenzung verwendet werden, da anhaltend hohe thermische Belastungen die Lebensdauer verkürzen und zu Fehlverhalten führen können. Bei fachkundiger Sicherungsauswahl auf der Basis einer sorgfältigen Anlagenplanung bieten Sicherungen einen zuverlässigen Überstromschutz während der gesamten Lebensdauer der zu schützenden Anlage. Dazu ist die Kenntnis Lebensdauer verkürzender (äußerer) Einflussfaktoren ebenso unerlässlich wie die planerische Bestimmung der betrieblichen Belastungsfaktoren.

Bild: FuseXpert

Dr.-Ing. Herbert Bessei ist Autor des Sicherungshandbuchs des gemeinnützigen NH/HH-Recyclingvereins, das seit seinem Erscheinen im Jahr 2007 bisher in neun Sprachen übersetzt wurde. Das Handbuch ist kostenlos beim NH/HH-Recyclingverein zu bestellen, für Berufsschulen und Lehrwerkstätten auch in größeren Mengen. Der gemeinnützige Verein zur Förderung des umweltgerechten Recyclings von abgeschalteten NH/HH Sicherungseinsätzen e.V. feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Als freiwillige Initiative der deutschen Sicherungshersteller widmet sich der Verein dem Recycling von ausgedienten Schmelzsicherungen als Beitrag für einen nachhaltigen Wirtschaftskreislauf. Energieversorger, Industrieunternehmen, mittelständische Betriebe und das Elektrohandwerk beteiligen in sich ganz Deutschland über ein vom Verein finanziertes flächendeckendes Sammelsystem. Die Überschüsse verwendet der Verein ausnahmslos in Form von Spenden zur Finanzierung von Forschung, Lehre, Aus- und Weiterbildung. Mitglieder des Vereins sind die deutschen Sicherungshersteller Driescher Wegberg, Efen, Hager, Jean Müller, Mersen, Siba und Siemens. www.nh-hh-recycling.de

 

Seiten: 1 2Auf einer Seite lesen

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: Maximator Hydrogen GmbH
Bild: Maximator Hydrogen GmbH
Benutzerfreundlich 
und sicher

Benutzerfreundlich und sicher

Für seine neueste Generation von Zapfsäulen suchte Maximator Hydrogen, Thüringer Spezialist im Bau von Wasserstofftankstellen, eine Gehäuselösung, die die vielfältigen Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, Design, Langlebigkeit, Installations- und Wartungsfreundlichkeit erfüllt. Fündig wurde man bei der Firma Schimscha, dem Experten für Blechkonstruktionen aus dem Ravenstein-Erlenbach in Baden-Württemberg.

Bild: Weidmüller GmbH & Co. KG
Bild: Weidmüller GmbH & Co. KG
Heimliche Helden

Heimliche Helden

Die Drucker des Elektrotechnik- und Verbindungstechnikunternehmens Weidmüller sind zentrale Elemente beim Schaltanlagenbau der Firma Gormanns mit Sitz in Mönchengladbach. Die Firma hat sich mit 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf den Bau von Schaltanlagen für Wasserwerke, Kläranlagen und Industriestraßen spezialisiert. Die Bedruckungsgeräte haben sich als wichtige Werkzeuge erwiesen, die den reibungslosen Ablauf der Projekte gewährleisten. Sie ermöglichen eine präzise Kennzeichnung und Beschriftung von Schaltanlagenkomponenten, was die Effizienz und die Qualität der Arbeit signifikant steigert.

Bild: Hilscher Gesell. f. Systemautomation mbH
Bild: Hilscher Gesell. f. Systemautomation mbH
Verdrahtungsaufwand 
im Schaltschrank verringert

Verdrahtungsaufwand im Schaltschrank verringert

Der österreichische Dienstleister DieEntwickler Elektronik ist spezialisiert auf Hard- und Software-Entwicklungen im industriellen Umfeld. Das Unternehmen mit Sitz in Bad Zell legt seinen Fokus dabei auf industrielle Kommunikationssysteme, optische Sensorik und Industrienetzgeräte. Der offizielle Embedded-Integrationspartner von Hilscher unterstützt seine Kunden mit 19 Mitarbeitenden und einer eigenen Prototypenfertigung bei der zeiteffizienten Entwicklung individueller Komponenten. DEE begleitet seine Kunden entlang des gesamten Prozesses – vom Lastenheft bis zur Überführung in die Serienproduktion.